Videobox »Museum Matters«

Laufzeit
10.1.2017 – 7.1.2018
Beschreibung

Ist das Museum ein kollektiver Speicher von Wissen oder Plattform für Experimente? White Cube oder Werkstatt? Architekturikone oder interaktiver Ort der Kommunikation?

Lange schon gibt es verschiedene Vorstellungen, Theorien und Utopien über das Museum. Immer wieder hat sich diese Institution in ihrer Geschichte geändert. Nicht zuletzt Künstler setzen sich stetig mit diesem öffentlichen Ort von Bildern und Bilderfahrungen auseinander, der zwischen Gegensätzen wie Geschichte und Zukunft, Konjunktur und Krise pendelt. Einerseits waren Museen traditionell Ausbildungsinstrumente und mitunter Ateliers für sie. Andererseits haben Künstler in ihrer Kunst wie in ihren Manifesten Museen beharrlich attackiert, ihre scheinbare Neutralität und Objektivität kritisch thematisiert und ihre Gesten des Zeigens etwa aus feministischer, antirassistischer und antikolonialer Perspektive hinterfragt.

Unter dem Titel »Museum Matters« konzentriert sich die aktuelle Reihe der Videobox auf Arbeiten von jüngeren und etablierten Künstlern und Filmemachern, die das Museum zu ihrem Gegenstand machen. Dokumentarisch, experimentell, essayistisch oder narrativ nehmen sie Museen, ihre Ansätze, Präsentationen und Formen der Vermittlung in den Blick, um Bedingungen von Sammlungen sichtbar zu machen und alternative Archive herauszufordern.

Die Reihe »Museum Matters« wird ermöglicht durch:

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10.1. bis 5.3.2017 Andrea Fraser »Museum Highlights: A Gallery Talk«

Es sind der Blick auf das Umfeld von Kunst und der Zweifel, dass Museen und ihre Akteure nur ihre »neutralen« Vermittler sind, die das Werk von Andrea Fraser prägen. Mit ihren Videos, Performances und Installationen ist die Künstlerin eine Protagonistin der »Institutionskritik«, die seit den 1960er-Jahren den Kunstbetrieb mit seinen sozialen, institutionellen und ökonomischen Strukturen wie auch das eigene Tun in den Blick rückt.

»Museum Highlights: A Gallery Talk« ist einer ihrer frühesten »Gallery Talks«, mit denen Fraser seit Mitte der 1980er-Jahre Präsentationsformen, Hierarchien und Ausschlussmechanismen von Kunstinstitutionen untersucht. Das Video basiert auf einer Performance der Künstlerin im Philadelphia Museum of Art. In der Rolle der erdachten Kunstdozentin »Jane Castleton« führt sie auf hintergründige wie humorvolle Weise durch das Museum, das zu den bedeutendsten Sammlungen von Kunst und Kunsthandwerk in den USA zahlt. Inhaltlich basieren Frasers Ausführungen auf Dokumenten und Texten aus den Archiven des Museums wie aus Psychoanalyse, Ökonomik und Soziologie. Im Video spricht sie leidenschaftlich und direkt in die Kamera. Wie üblich in Führungen führt sie zunächst in Geschichte und Sammlung des Museums ein. Zunehmend aber schweift sie ab, geht auf scheinbare Nebensächlichkeiten des Museums wie Garderobe, Toiletten oder Museumsshop ein und denkt über Sozialgeschichte und gesellschaftliche Aufgaben des Museums in den USA nach.

Mit theatralischem Geschick analysiert sie so klug und kritisch Beziehungen zwischen Klasse und Geschmack, Philanthropie und Politik sowie ihre Folgen. Doch hat Fraser in »Museum Highlights: A Gallery Talk« nicht nur die Institution Museum und ihre Machtstrukturen im Blick. Auch die Bedeutung von Besuchern, die das Museum »schafft«, und Künstlern wie sie selbst, die mit ihm arbeiten, untersucht ihr bestechendes Rollenspiel.

 

 

7.3. bis 1.5.2017 Marcel Odenbach »Im Schiffbruch nicht schwimmen können«

Ein Speicher von Geschichte und Ort der Erinnerung ist der Louvre in Paris, in den Odenbachs Video »Im Schiffbruch nicht schwimmen konnen« führt: Drei afrikanische Manner unterschiedlichen Alters besuchen darin das weltberühmte Museum. Vor einem monumentalen Gemälde nehmen sie Platz und betrachten es schweigend. Während die Kamera das Bild stets nur in Ausschnitten und im Wechsel mit den Männern fokussiert, ist es leicht identifizierbar als Theodore Gericaults »Floß der Medusa« (1819). Es erzählt von einer menschlichen Katastrophe auf hoher See, als die französische Fregatte »Medusa« vor der Küste Mauretaniens im Juli 1816 auf Grund lief. Gerade hatte Frankreich seine Kolonie Senegal zurückerhalten. Weil die Beiboote nicht für alle reichten, baute die Besatzung aus den Masten ein Rettungsfloß für 149 Menschen. Doch kappte man das Verbindungsseil. 13 Tage trieben die Schiffbrüchigen daraufhin hilflos auf dem Meer, wurden Menschen ins Wasser gerissen, massakrierten sich gegenseitig. Nur 15 Personen überlebten. In Frankreich entfachte die Nachricht einen Skandal und Gericaults schonungsloses Bild schockierte sein Publikum nachhaltig.

Odenbachs Sequenzen im Louvre – begleitet von einem Balafon-Soundtrack des Musikers Ricky Ojijo – unterbrechen Aufnahmen von Meeresbrandungen vor der Küste Ghanas mit eingeblendeten Texten. Diese basieren auf Interviews, die Odenbach mit den drei Afrikanern zu ihrer Flucht über das Meer, ihrem Leben und ihren Gefühlen von Fremdsein geführt hat. Indes weist »Im Schiffbruch nicht schwimmen können« schon im Titel unmissverständlich darauf hin, dass auch in der gegenwärtigen Flüchtlingskrise viele eine solche Überfahrt über das Mittelmeer nicht überleben. 

Wie in vielen seiner Arbeiten zieht Odenbach auch in diesem Video Verbindungslinien zwischen Geschichte und Gegenwart, Europa und Afrika und zeigt – indem er die politische Brisanz von Gericaults »Floß der Medusa« aktualisiert – einmal mehr, dass sich menschliche Katastrophen und Folgen von Kolonialpolitik damals wie heute nicht verdrängen lassen.

 

3.5. bis 2.7.2017
Karsten Krause »Arrangement of Skin«

Natur zu dokumentieren und zu erhalten war und ist ein Bedürfnis von Kulturen. Institutionalisiert ist dieses Anliegen in Naturkundemuseen und zoologischen Sammlungen. Solche »Archive des Lebens« hat Karsten Krause in Stuttgart aufgesucht: Im Staatlichen Museum für Naturkunde Stuttgart und in der Wilhelma nimmt er die menschliche Aneignung von Natur zu Erkenntniszwecken mit seiner Kamera in den Blick. Dieser gilt vor allem konservierten Tieren, deren Rekonstruktion und Animation er in Inszenierungen des Museums verfolgt.

Mitunter wirkt es als ersetze die Kamera den erloschenen tierischen Blick auf die Menschen. Krause richtet sie auf die Arbeit von Präparatoren und ihr postmortales Handwerk in den Museumswerkstätten, wo sie Verfall durch Lagerungstechniken taxidermisch begegnen. Studiert werden ihre Verrichtungen, Geschicklichkeit und Vertrautheit im Umgang mit den toten Kreaturen. Oft ist der Fokus ganz auf ihrer konzentrierten Mimik, die Erfahrung, Sorgfalt und Hingabe ahnen lässt, während sie - etwa auf einer aufgeschlagenen Zeitungsseite mit Todesanzeigen als Unterlage - schneiden, häuten, abbalgen, ausstopfen und fixieren. Möglichst natürlich, lebendig und ästhetisch ansprechend sollen die Tiere wirken für ihre Ausstellung in spektakulären Dioramen. Dort haben sie ihren finalen Auftritt neben anderen präparierten Tieren vor idealisierten Biotopen nachempfundenen Kulissen, um der Spezies zu begegnen, die sie arrangiert hat.

Schaulust der Besucher spiegelt sich in den Schaukastenscheiben. Staunendes Flüstern ist aus dem Off zu hören. Beäugt und bestaunt wird das Wilde als Kunstprodukt nach menschlichen Phantasmen, das doch widerständig bleibt gegen seinen Objektstatus. So erzählt "Arrangement of Skin" vor allem vom Widerspruch zwischen wissenschaftlicher Neutralität und gestalterischer Interpretation wie von der Imaginationslust von Forschung, Museen und Besuchern.

Die Produktion von Karsten Krauses Video »Arrangement of Skin« wurde gefördert und unterstützt von der Akademie Schloss Solitude und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg.

 

4.7. bis 3.9.2017
Emma Wolukau-Wanambwa
»A Short Video about tate Modern«

Emma Wolukau-Wanambwas Video »A Short Video about Tate Modern« blendet aus, was man unmittelbar mit dem weltweit meistbesuchten Museum für aktuelle Kunst am Londoner Themseufer verbindet: Es wirft keinen Blick auf das umfunktionierte Kraftwerk oder in seine Turbinenhalle, zeigt keine Sammlungspräsentationen oder Ausstellungsräume, interessiert sich nicht für seine Cafés, Museumsshops oder Besucherströme. Und doch löst das Video ein, was sein Titel ankündigt.

Mehr als eine Dekade vor dem just eröffneten Erweiterungsbau des Museums entstanden, beschränkt sich »A Short Video about Tate Modern« auf zwei Einstellungen, die beide die Künstlerin zeigen. Zunächst steht Wolukau-Wanambwa schwarz gekleidet stumm vor einer weißen Wand und blickt in Nahaufnahme frontal in die Kamera. Mit Hilfe von Untertiteln folgt man ihrem inneren Monolog, in dem sie von ihren Erfahrungen im Rahmen ihrer Teilnahme an einem Kunst-Workshop im obersten Stock des Museums erzählt. Dort stellt sie fest, dass sie die einzige »nicht-weiße« Person ist und fühlt sich unangenehm exponiert, während ihr hinter den Kulissen vor allem viel schwarzes Museumspersonal – Aufsichten, Wachmänner oder Küchenmitarbeiter – begegnet. Als Künstlerin mit Zugang zu den Inhalten des Museums erntet sie ihre Blicke. Die zweite Einstellung des Videos zeigt Wolukau-Wanambwas Arbeit, die Ergebnis des Workshops ist: Darin steht sie erneut wortlos vor einer weißen Wand. Diesmal wäre sie ganz zu sehen, verdeckte sie nicht eine große weiße Pappe und brächte sie in ihrer Umgebung zum Verschwinden. Nur ihre schwarzen Beine bleiben sichtbar.

Mit minimalen Mitteln führt »A Short Video about Tate Modern« vor Augen, wie auch ein »für alle offenes« Museum gesellschaftliche Verteilung von Privilegien widerspiegelt. Dass die eigene Rolle im Spannungsfeld von gegensätzlich erlebten Mehrheitsverhältnissen und Hierarchien dabei als ambivalent mit reflektiert wird, macht das Video umso eindringlicher.

 

5.9. bis 29.10.2017
Jem Cohen »Museum Hours«

Für Johann ist das Kunsthistorische Museum Wien seine Arbeitsstätte. Für Anne ist es ein Zufluchtsort. Dort begegnen sich der Museumswärter und die Besucherin aus Montreal. Sie ist wegen ihrer Cousine in Wien, die im Koma liegt. Ohne Geld und Stadtkenntnis sucht Anne Ausgleich im Museum, lässt sich durch die Säle mit Werken von Bruegel und Cranach treiben, taucht ein in Geschichten von Kreuzigung, Sündenfall und nackten Frauen in sakraler Gestalt. Zaghaft beginnen die beiden ein Gespräch, lernen sich kennen, erkunden bald gemeinsam die Kunst und dann auch Unbekanntes in ihren eigenen Leben und in Wien.

Doch ist diese Handlung nur loser Vorwand für Jem Cohens Nicht-Liebesfilm »Museum Hours«, in dem das Museum Dreh- und Angelpunkt ist. Von hier aus flanieren die Protagonisten in die Stadt – auf den Naschmarkt oder in Lokale, in die man nur als Wiener Zutritt findet – und kehren immer wieder ins Museum zurück. Ganze zehn berückende Minuten etwa verharrt der Film bei einer Museumsführung. Für Cohen ist die Kunst weniger Mittler als Prisma für Johanns und Annes Themen wie Tod, Sex, Geschichte, Theologie und Materialismus und wie diese in ihren Leben greifbar werden. Dabei faszinieren Cohen insbesondere Bruegels Welt-Landschaften, die seinen eigenen dokumentarisch erscheinenden Straßenaufnahmen nahe sind.

Im stetig vorantreibenden Fluss ruhiger Szenen vermischen sich – in für Cohen typischer Arbeitsweise – Fiktion, Dokumentation und Essay. Immer wieder fließt Wirklichkeit in seinen Film ein, etwa in Form übernommener Umstände aus den Arbeitsbiografien seiner Laienhauptdarsteller. Ebenso inszeniert der Zufall mit. Die Wände des Museums, die es von der Straße und dem Leben draußen trennen, sind dick. Cohen aber gelingt es mit »Museum Hours«, sie poröser zu machen.

Aufgrund seiner Lauflänge zeigen wir »Museum Hours« jeweils täglich während unserer Öffnungszeiten mit folgenden festen Anfangszeiten: 10.10 Uhr, 12.10 Uhr, 14.10 Uhr, 16.10 Uhr und donnerstags auch 18.10 Uhr.

 

31.10. bis 7.1.2018
Katarina Zdjelar »Into the Interior (Last Day of the Permanent Exhibition)«

Als Institutionen der Moderne waren Museen sowohl nationalstaatliche Instrumente als auch solche des Kolonialismus. Auch das Königliche Museum für Zentralafrika Tervuren am Rande Brüssels war ein Instrument der Propaganda. Von Belgiens König Leopold II. 1898 gegründet und 1910 eröffnet - ein Jahr nachdem der Kongo nicht mehr königlicher Privatbesitz, sondern eine Kolonie des belgischen Staates wurde - war es ein Museum des kolonialen Afrikas. Als solches hat es afrikanische Kunst, Ethnographika und Naturobjekte gesammelt und mit ihnen Anmaßungen, Ausbeutungen, Brutalität, aber auch Begeisterung, mit denen die Europäer lange dem Rest der Welt begegneten, originalgetreu bewahrt.

Bevor dieses mutmaßlich letzte große Kolonialmuseum Europas Ende 2013 geschlossen wurde und zu einem Haus des zeitgenössischen Afrikas umgebaut wird, hat Katarina Zdjelar hinter seine Kulissen geschaut. In ihrem zweikanaligen Video »Into the Interior (the Last Day of the Permanent Exhibition)« hält sie mit ihrer Kamera letzte Momente des Museums vor seiner »Generalüberholung« fest. Mit genauem Blick und Aufmerksamkeit beobachtet sie Akteure und Situationen: Sie schaut in Depots, Dioramen und Archivmaterial. Schuttcontainer, die auf die bevorstehende Zeitenwende weisen, finden Ihre Aufmerksamkeit. Geduldig lauscht sie Personal, das sachlich Inventarnummern zerfallender Trophäen überprüft, die weder wissenschaftlichen, noch kulturellen Status haben - nur um sie wieder zu verpacken. In der Doppelprojektion setzt Zdjelar Aufnahmen der Trophäen solchen gegenüber, die Ausschnitte einer verblassten Wandmalerei mit einer kongolesischen Landschaft zeigen. Jagen und Malen waren bevorzugte Zeitvertreibe der Kolonialherren, mit denen sie in unberührte Landschaften Afrikas eindrangen.

Zdjelars ruhige Aufnahmen begleitet eine dissonante Tonspur aus Stimmen der Museumsmitarbeiter, Harfenmusik und Geräuschen zusammengefegter Glasscherben. Das Museum wird ideologisch entrümpelt. Und doch klingt der Soundtrack zu »Into the Interior (the Last Day of the Permanent Exhibition)« nach Unbehagen, ob ein Dekolonisieren des Museums überhaupt möglich ist.